Falsch, am falschen Platz, ein Fehler. Weil
genau an diesem Platz das Richtige sein sollte, das fehlt... Was fehlt? Oder
wer fehlt? Er oder sie fehlt, weil ein Platz leer bleibt. Es fehlt, weil ein
Stück aus einem Zusammenhang rutscht, weil etwas unverbunden bleibt, weil ein
toter Punkt erreicht ist. Etwas, das da sein sollte und es nicht ist. Es fehlt,
eben.
Oder weit gefehlt? Daneben, ausserhalb. Nicht
drin. Kein Treffer. "Fehler" zu sagen suggeriert immerhin, dass es
etwas Gefügtes, aufeinander Bezogenes gibt, das man verfehlen kann. Die
konzentrischen Kreise der Zielscheibe, der Mittelpunkt, ein Innen, das ein
Außen hat, in das man fehlen kann.
Tröstlich. Denn immerhin hilft uns so der
Fehler, an ein Ganzes zu glauben, an einen Zusammenhang, der tatsächlich
zusammenhängt, konsistent ist, also Unterbrechungen und Ausfälle nicht brauchen
kann. Löcher in der Zielscheibe, leere Fächer in Ladenregalen, ein runder Tisch
mit unbesetzten Stühlen - die Konsistenz ist unsicher, verfehlt. Das Ganze
wartet auf seine Abrundung. Es wird, irgendwann, wieder vollständig sein. Oder
etwa nicht?
Vielleicht ist nicht der Fehler eine Störung
des Ganzen, sondern das Ganze eine Funktion des Fehlers? - Ich stelle mir vor,
das Ganze schwimmt auf dem Ozean des Unverbundenen wie eine Insel, etwas ganz Unwahrscheinliches
in der Wahrscheinlichkeit der Fehler...
Wo nichts fehlt, kann es die Idee eines Ganzen
überhaupt nicht geben. Gibt es das Ganze, weil zuviel fehlt? Es fehlt ja
eigentlich mehr, als da ist. Also - Fehlt Dir was? Was? An der Idee der
Gesundheit, oder an dem Gefühl davon? Aber gibt es ein Gefühl von Gesundheit?
Am ehesten wohl dann, wenn mir etwas gefehlt hat und nach kurzer oder längerer
Rekonvaleszenz der Körper wieder unbewusst wird - denn es fehlt ihm ja nichts...
Es fehlt mir an Erfahrung - aber kann sie
zunehmen? Tatsächlich steigt die Menge des Un-Erfahrbaren von Minute zu Minute
- Erfahrung: ein Begriff, der eine Präsenz behauptet, zu der doch der Zugang
fehlt. Wir fehlen mittendrin.
Kann etwas existieren, das fehlt? Bestimmt -
es ist anderswo, es macht nicht mit, hat keinen Anteil und nimmt keinen Bezug
auf. Eine andere Ebene, vielleicht, eine andere Koordination, eine andere Zeit.
Peinliche Fehler. Die Pein des verfehlten
Zusammenhangs. Wir fühlen uns deplaziert, stellvertretend für das, was uns
gefehlt hat. Anstand, das rechte Wort, das Herz, die gute Ausrede. Ausreden in
das, was fehlt? Mir fehlen die Worte. Sowieso, meistens - denn die Menge des
Gleichzeitigen, das zu beschreiben wäre, lässt meine Äusserung zur Anekdote
werden. Der Fehler weist in der prekären Choreographie unseres Handelns auf die
dünne Schicht unserer Routine hin. Wievel Routine ist notwendig, den Fehler
auszubügeln? (gerademachen, ein Falte beseitigen). Wer bügelt mit? Allein einen
Fehler zu machen, scheint einfach (mal was, das leicht fällt...). 2 Leute
machen einen Fehler. Wieviele braucht es zum Ausbügeln? Gibt es eine
Mengenbegrenzung? 2500 Leute machen gemeinsam und gleichzeitig einen Fehler.
Wieveiel Menschen braucht es, um festzustellen, dass es sich um einen solchen
handelt? Die grosse Zahl wird erleichtert durch die Strukturgleichheit
sequentieller Abfolgen. Viele können an der gleichen Stelle die gleiche Taste
drücken. Oder auch nicht. Welche Tasten haben amerikanische Wahlmaschinen?
Ertasten. Verfehlen ist eher ein Verfühlen als ein Versehen. Es war ein
Versehen. Eigentlich wurde noch keine Hand bewegt und der Blick hat das Umfeld
nicht vollständig erfasst. Voll stehend - wir sind in der Mitte, und es ist zu
voll. Um in der Mitte stehen zu können braucht es Anstand. Der Anstand, die
gerade Haltung bedroht von den umgebenden Fehlern. Der Un-Anstand also ein
willentliches Abgleiten in den Kontext? Ein kurzfristiges Unterbrechen des
Stands, eine abgeglittene Bewegung, eine Verfehlung. Platz schaffen in der
Mitte. Ein Handlungsloch, das unangebrachte Wort, die abschätzige Gebärde. Das
Aussen dringt in die Mitte ein - alle rücken zusammen. Der Verursacher der Öffnung
wird überstimmt, überzogen mit Schweigen, die Mitte bewegt sich ruckartig und
er steht am Rand oder in der Peripherie, die sowieso das Land des Fehlers ist.
Die Peripherie nimmt kein Ende (die Mitte schon). Sie ist unbedroht,, weil die
Ordnungen der Zeit sie anders überziehen als die Form, die sich zum Zentrum
erklärt - das Ausserhalb eher ein
Konglomerat minimaler Zentren, die sich überschneiden und keine wechselseitige
Kontrolle erfahren.
Es muss eine Art Rand geben, der die
Fehlerhaftigkeit, also dieses Loch, diesen Aussetzer von der Regelhaftigkeit der
Mitte trennt, eine Kante einen Absatz, einen Krater wo nach kurzem Aufstieg die
Inversion der Topographie einsetzt. Szenisch beginnt der Fehler durch ein
Abgleiten - es muss einen Kordon geben in dem eine Transformation der Bewegung
(der Hand, Mundes) stattfindet, eine kurze Verunsicherung, die das Abgleiten
beschleunigt. (kann ich einen Fehler wollen? Vielleicht wünsche ich mir, dass
jemand anderer einen macht. Ich selbst kann Fehler wohl nur dadurch begehen,
dass ich versuche alles richtig zu machen...). Um den Fehler liegt das Dickicht
des Richtigen. Der Kordon, das Umschlagen der Bewegung - wir sind uns des
Fehlers nicht bewusst, das Weiterschreiten in die eingeschlagene Richtung und
plötzlich die Verunsicherung. Hier bin ich falsch. Wo muss ich aussteigen? Das
falsche Schild an der Haltestelle, die falsche Tür, das falsche Gerät, die
falsche Zahl. Der Vorgang wird abgebrochen, hier geht es nicht weiter, eine
unangebrachte Koordination, wo wollte ich eigentlich hin? Hier kann ich nicht
bleiben, Kommando zurück, den Rand suchen, den Vorgang neu starten. Angenehm
ist, dass die neugierigen oder abschätzigen Blicke, die früher den Fehlenden
begleiteten - wie kann ich die Blicke abschütteln? - mittlerweile nicht mehr so
bedrängend sind. Sie sind in die Maschine abgewandert und in den Bildschirm
integriert. Wir blicken auf die
hinterleuchteten Pixel, meist in Textform, dieser Vorgang , we are
sorry, please contact. Der Fehler, unser Aufenthalt in ihm, wird zum
Schriftstück, wollen sie ein Protokoll ausdrucken? Ein Weg zurück in der
sequentiellen Ordnung ist unwahrscheinlich. Also besser Neustart ohne
Belehrung. Zurück zur Grundlinie, es gibt die Chance denselben Fehler mehrmals
zu machen, wir studieren seine Physiognomie wie eine fremde Haut, die wir
kennenlernen müssen, an einer Stelle gibt es diese bisher übersehene Wendung
oder Verwerfung. Hier heisst es Halt, die Transformations-Grenze ist erreicht.
Wie lange kann ein Fehler dauern? It began as a mistake. Gibt es den Fehler,
den andere gerade machen und zu dem wir zusteigen können? Mit welcher
Aufenthalts-Aussicht? Vielleicht war es auch gar kein Fehler? Es wird sich
rausstellen. Rausgestellt, in die Peripherie versetzt. Oder auch nicht. Wir
versuchen normalerweise den Fehler zu beseitigen, die Scharte auszuwetzen, die
Ordnung wieder hinzubringen. Und uns hinein. Der Fehler als Gegener der Glätte,
des Runden, der Geraden, des Übersichtlichen. Können wir uns in den
Verwerfungen, die der Fehler uns gibt, vielleicht verstecken? Meist von zu
kurzer Dauer um ein gutes Versteck abzugeben... Die Berichtigung, das
Glattziehen läuft gegebenenfalls ohne unser Zutun. Dafür muss die Mannschaft
geradestehen. Natürlich auch du. Den Fehler, das Fehlen in gebückter Haltung
erreichen? Fehlerhaftes Sitzen, die falsche Haltung. Bücken, sich-Wegducken als
ein Unterlaufen der Deutlichkeit, Schwanken oder Umkippen, der Servilität und
der Affimation ist die Nähe zum Fehler eingebaut. Die Choreographie des
Geradestehens findet die Verformung des Körpers verdächtig. Er gibt sich auch
keine Mühe. Hingegen: ein fehlerloser Lauf, der Schwerkraft abgetrotzt,
Geradestehen, -gehen, -laufen als Ergebnis bedingungsloser Redundanz, genannt
Training, die Choreographie des Lobs im
Einklang mit der Koordiation der Glieder. Der militärische Drill als Bedingung
des Lernens, wo keine Gradlinigkeit zu erreichen ist, helfen vielleicht
Prothesen. Instumente zur Fehlerbehebung. Die unschöne Stimme, mangels
Kontrolle über Vibrato oder Resonanz prothetisch ersetzt als Geigenkörper, das
koordinierte Miteinander der vielen Prothesen im Orchester als Labor der
Fehler-Erzeugung und gleichzeitigen oder späteren Verhinderung. Soziale Muster
oder Abfolgen werden im Stillstand, beziehungsweise im Stillsitzen erprobt, die
Koordination des fehlerfreien Ablaufs ist Chefsache. Der Code der Partitur als
Ersatz für die Bewegung der Beine und Rümpfe. Die Geschichte ging um, dass
einige Streicher des RSO während Aufführungen Stücke zeitgenössische Musik
Seitenkontakt nur simulierten. Natürlich kein Fehler. Wer weiss, was sie gespielt
hätten, wenn. Hierbei ist natürlich interessant zu sehen, dass die Stillegung
der Körper weiter fortschreitet. Aufführungen von Computer-Musik zeigen uns
meist die bewegungslosen Körper der Ausführenden hinter ihren Maschinen. Selbst
die Gesichter sind konzentriert glattgezogen. Der Code in den Körper
eingeschrieben stellt diese still und gerade analog zur Dominanz der Kontrolle
im Ablauf des Programms. Der Komponist elektronischer Musik, gleichzeitig
Aufführender ist ein Aufpasser - gespiegelt in seinem Publikum, auch Aufpasser,
die sich sicher sind, dass sie etwas verpassen. Zuviel Information in der Kürze
der Zeit. Wir machen, als Zuhörer, Fehler - weil wir uns verhören. Zu viele
Gleichzeitigkeiten, zu viele Zentren und damit garkeine... Möglicherweise
werden deshalb Konzerte mit elektronischer Musik von projizierten
Animationen begleitet - zumindest der
Blick soll gefangen und zentriert werden. Das Aufführen (und auch das
Ausstrahlen) solcher Klang-Systeme in der jetzigen Form ist nur ein Übergang -
ob die Rezeption zur Ordnung hin oder zur Peripherie hin tendieren wird, ist
unklar. Die Rechenmaschine in ihrer neuesten Ausformung ist jedenfalls eine Prothese
des Blicks. Einzig die Hände sind als Interface noch in Bewegung - und auch sie
sollen bald durch die Stimme ersetzt werden. Neue Bereiche für die Fehlerortung.
Wie kann ich den Fehler festhalten? (Die omnipräsente candid camera?). Die
Menge der Bilder, die erzeugt werden löst den Kodex des Richtigen auf: gibt es
ein falsches digital-Photo? Lass es uns löschen. Das Verschwinden ist dem
Erzeugen eingebaut. Vielleicht auch, weil wir als Funktion des Erzeugens die
Bilder eher aus einer Haltung der Selbstverteidigung schiessen, denn als
Aneignung eines Raums, einer Situation, einer Szene. Es wird schwieriger einen
Fehler zu machen, wenn die visuellen und akustischen Daten, die uns begleiten
nicht mehr sind, als Oberflächen. Und im übrigen auch meist garnicht mehr sein
wollen. Was passiert,wenn nichts mehr fehlen kann, wenn wir nichts mehr
verfehlen können? Und demnach auch keiner unser Fehlen bemerkt? Das ist
natürlich die falsche Frage, denn sie tut so, als ob wir eine Wahl hätten oder
als ob es einen Zeitpunkt gäbe, an dem dieser Prozess einsetzen würde, in Art
einer Pforte, an der ein Eintritt oder Draussenbleiben möglich wäre... Das ist,
wie man weiss, nicht der Fall - wir befinden uns irgendwie mittendrin, da wo
alle hinwollten, in der grossen Mitte, die die Fehler, die Schlupflöcher und
temporären Ausflüchte dadurch tilgt, dass sie Konsquenzen versteckt - so wie
der auf den Zigaretten-Packungen angekündigte Tod zumindest seine juristische
Anfechtung verhindert.
Das Motto könnte sein - gemeinsame
Fehler-Suche. Was können wir falsch machen? Und unter welchen Bedingungen hält
sich der Fehler? Wielange tut er dies? Braucht er Zeugen? Welcher Kontext ist
notwendig, damit das Abgleiten, das Ausfallen eine gewisse Dauer hat?
Ich meine - einige Fehler gehen nicht gut aus
- solche mit toxischem oder suizidalem Hintergrund zum Beispiel. Sie sind hier
nicht gemeint. Gemeint ist die Choreographie, die Genese und der Ablauf des
durchschnittlichen Fehlers - die Art wie Achtsamkeit und Konzentration durch
den Fehler unterbrochen werden, wie sich die Umgebung dieser Unterbrechung
anpasst oder auch nicht. Welche - gegebenenfalls - Rückschlüsse auf parallele
Motive einer Handlung wir ziehen können und wie das Scheitern das
Vorangegangene verändert.
Eine Art Zeitschlaufe: der Fehler als Anlass
rückbezüglich zu denken, quasi ein reset oder ein rewind einzuschalten - es entsteht kurzfristig ein Szenario, das
sich dem reibungslosen Fortlauf der Zeit entgegensetzt, mehr oder weniger
grosse Loops, die das Erleben mit dem Erlebten überschreiben.
14.12.03